Bürgerarbeit und Pflegenotstand

Versammlung zur Unterstützung des Zweckverbandes für Groß-Berlin, 1912. Das Plakat prangert die elenden Wohn- und Lebensverhältnisse an, unter denen vor allem Kinder und Jugendliche leiden mussten. Den Einwohnern von Berlin standen 1921 statistisch pro Kopf 0,4 Quadratmeter an Spiel- und Sportflächen zur Verfügung. Der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen erachtete mindestens drei Quadratmeter für notwendig. Vor diesem Hintergrund entstand die Stiftung „Park Spiel und Sport“. Bis 1924 wurde ein Quadratmeter pro Kopf erreicht, 1928 dann 1,33 Quadratmeter. Plakat von Käthe Kollwitz. Quelle: bpk/Kunstbibliothek, SMB/Knud Petersen, Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Bürgerinitiativen für Grün

„Wanderer achte Natur und Kunst und schone ihrer Werke“ lautet die Inschrift auf dem ersten Denkmal zum Schutz der Natur. Der sogenannte Warnaltar entstand um 1800. Er befindet sich im Wörlitzer Park, einem Landschaftsgarten nach englischem Vorbild. Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau (1740–1817) und sein Freund, der Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800), begründeten mit ihrem Gartenreich die moderne Landschaftspflege. Die beiden aufklärerisch denkenden Männer betrachteten Landnutzung und Landschaftsgestaltung als eine Einheit und wollten auch erzieherisch wirken.

Doch die Sorge um die Natur erhielt erst im Zuge der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft. Bürger gründeten Gruppen, die sich für die Umwelt engagierten, und es entstanden sehr bald erste Naturschutzgebiete in Berlin.

In der schwierigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg setzten sich engagierte Bürger und Politiker für den Ausbau des Berliner Stadtgrüns ein. Sowohl Volksparks als auch Spiel- und Sportplätze sollten ausreichend vorhanden sein und von allen genutzt werden können.

Mit dem 1951 beschlossenen Nationalen Aufbauwerk der DDR und der sogenannten Volkswirtschaftlichen Masseninitiative entwickelte sich eine staatlich geförderte Mitarbeit der Bürger bei der Pflege der Grünflächen. Seit den 1980er Jahren wich diese dann, nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Umweltprobleme, allmählich einer stärkeren Eigeninitiative. Auch heute steigt wieder die Zahl der Bürgerinitiativen angesichts der zum Teil vernachlässigten Pflege des Grüns durch die öffentliche Hand. Mit Urban Gardening und Urban Farming sind außerdem neue Formen im Umgang mit den städtischen Grün- und Freiflächen entstanden. Für viele Berlinerinnen und Berliner gilt schon längst: „Achte Natur und Kunst und schone ihrer Werke – und tu’ was!“

1. Soziales Grün oder vom Zier- zum Nutzwert

Krisenbedingte Nutzung und Gestaltung von Grünanlagen nach dem Ersten Weltkrieg
Schwierige Situationen erfordern tatkräftige Menschen. Die prekären Lebensbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg und die finanzielle Not der Stadt ließen den Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß (1873–1946) zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen. Er rief ein Notstandsprogramm zum Bau von Spiel- und Sportplätzen sowie Volksparks und Schwimmsportstätten ins Leben, das er zum Teil durch eine private Stiftung finanzierte. Außerdem forderte Böß die Berliner zur direkten Mitarbeit auf, als die Bauarbeiten durch die Inflation immer häufiger ins Stocken gerieten.

Gustav Böß (1873–1946), o. D. Gustav Böß war von 1921 bis 1930 Oberbürgermeister von Berlin. In seiner Schrift „Die Not in Berlin“ (1923) resümierte Böß, dass die wichtigsten Voraussetzungen für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in Berlin fehlen: Spiel- und Sportplätze sowie Volksparks zum Erholen im Freien. Quelle: Landesarchiv Berlin

„Ich hatte Vertrauen zu der Sache, ich sagte: Gemacht werden muss es, unter allen  Umständen. Fangen wir mal an.“

Gustav Böß über die Stiftung „Park Spiel und Sport“ in einem Vortrag während der Deutschen Tagung für Körpererziehung im Mai 1924 in Berlin. In: Gartenkunst. Monatszeitschrift für Gartenkunst und verwandte Gebiete, Nr. 4 / 1924, S. 50

1.1 Die Stiftung Park Spiel und Sport

Gustav Böß initiierte 1922 ein Notstandsprogramm mit einem Volumen von 22 Millionen Reichsmark, finanziert durch Stadt, Reich und preußischen Staat, zum Bau von 43 großen Projekten. Beinahe die Hälfte der Kosten wurde durch die von ihm im Dezember 1921 ins Leben gerufene Stiftung „Park Spiel und Sport“ getragen. Böß schaffte es, private Spender zu gewinnen, wodurch die Realisierung des freiflächenpolitischen Sofortprogramms überhaupt erst möglich wurde: „Ich suchte mir Helfer in allen Kreisen der Berliner Bevölkerung, unter der Lehrerschaft, in Handel und Industrie, in Finanzkreisen, und in kurzer Zeit war es möglich, erhebliche Summen zusammenzubringen.“

Bis 1924 wurden die zwölf größten Projekte fertiggestellt. In Pankow entstanden der Sportplatz Pfeilstraße in Niederschönhausen, der David-August-Bolle-Sportplatz in der Blankenfelder Chaussee und der Kissingensportplatz. In der Schönholzer Heide wurde eine Liegewiese mit Sandstrand zum Baden in der Panke angelegt. Bei vielen Projekten wurden Arbeitslose eingesetzt.

Der David-August-Bolle-Sportplatz in der Blankenfelder Chaussee, 1928. Die Sportstätte wurde mit einer schmückenden Parkanlage versehen, damit sich die Älteren an der frischen Luft erholen konnten und der Jugend beim Sporttreiben zusehen. Quelle: Landesarchiv Berlin
Der Sportplatz in der Pfeilstraße in Niederschönhausen, 1928. Quelle: Landesarchiv Berlin
Der Sportplatz in der Kissingenstraße, 1928. Quelle: Landesarchiv Berlin

1.2 Rettet die Heide! Eine Bürgerinitiative für die Schönholzer Heide

Um die Jahrhundertwende, zur Zeit des Baumbooms, plante der preußische Forstfiskus, die Schönholzer Heide abzuholzen und zu parzellieren. Zur Vermarktung des Vorhabens wurde sogar eine Postkarte gedruckt: „Die Schönholzer Heide wird parcelliert.“ Um das zu verhindern, gründete sich der Verein „Rettet die Heide“. Seine Argumente für den Erhalt der Heide als Ausflugsziel hatten Gewicht: An den Wochenenden kamen bis zu 60.000 Besucher. Hier gab es Erholungsstätten, die das DRK und andere Wohlfahrtsverbände für bedürftige Frauen und Kinder eingerichtet hatten. Gemeinsam mit Wilhelm Kuhr, dem damaligen Bürgermeister von Pankow, schaffte es der Verein, den Park zu erhalten.

Liege- und Spielwiese im Volkspark Schönholzer Heide, 1924. Quelle: Museum Pankow
Im Volkspark in der Schönholzer Heide um 1900. Quelle: Museum Pankow
Budenschießen im Volkspark Schönholzer Heide, 1910. Quelle: Museum Pankow, Foto: Max Skladanowsky

2. Grün für alle! Mit oder ohne Staat? Vom Nationalen Aufbauwerk zum Lupinenbeet auf dem Mauerstreifen

Aufruf zum Bau der Freilichtbühne Schönholzer Heide im NAW, 1955 Bereits am 15.08.1956 wurde die neue Freilichtbühne mit einer Inszenierung von William Shakespeares „Maß für Maß“ durch das Potsdamer Hans-Otto-Theater eröffnet. Quelle: Museum Pankow

Die SED beschloss 1951 das Nationale Aufbauwerk (NAW) zum Wiederaufbau des Landes durch freiwillige und gemeinnützige Arbeit. In den 1960er Jahren wurde es durch die Volkswirtschaftliche Masseninitiative (VMI) ersetzt, in Form von Subbotniks oder der Mach-mit-Bewegung.

Zunächst waren es der Mangel der Nachkriegszeit und später die begrenzte wirtschaftliche Kraft der DDR, die eine staatlich geförderte Mitarbeit der Bürger notwendig machten. In den 1980er Jahren wollten immer mehr Bürger angesichts der zunehmenden Umweltprobleme selbst für die Pflege und den Erhalt des Berliner Grüns verantwortlich sein. Vom Bezirksamt initiierte Baumpflanzungen wurden von den Bürgern mit Engagement mitgetragen. Baum­pflanzungen kleiner Umweltgruppen wurden stattdessen zum politischen Symbol. Die unabhängige Umweltbewegung entwickelte sich zu einer der Säulen der oppositionellen Bewegung in der DDR.

NAW-Projekte in Pankow

Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark: Das fertiggestellte Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, 1955. 1951 beschloss die DDR ein Programm zur Errichtung von „Jugendsportbauten“. Das Stadion im Jahn-Sportpark zählte mit dem 1992 abgerissenen Walter-Ulbricht-Stadion (Stadion der Weltjugend) und dem Sportforum Hohenschönhausen zu den wichtigsten Anlagen. Nach Plänen des Architekten Rudolf Ortner entstand anlässlich der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1951 ein Fußball- und Leichtathletikstadion für 30.000 Zuschauer. Quelle: Museum Pankow, Foto: Gerhard Ullrich
Freibad Pankow: NAW-Einsatz für das künftige Freibad, 1958. In 190.000 Aufbaustunden leisteten die Helfer freiwillige Arbeit im Wert von etwa einer Million Mark. Außerdem flossen etwa 500.000 Mark in Form von Spenden und durch das Kleben von Mosaikplatten in das Projekt. Durch die Zusammenarbeit der Aufbauhelfer mit Bauarbeitern und Handwerkern konnte eines der wichtigsten NAW-Projekte von Berlin verwirklicht werden. Quelle: Museum Pankow, Foto: Theo Löber

2.1 Das Nationale Aufbauwerk in Pankow „Weil unser Glück in unseren Händen liegt“

Im NAW ging es zuallererst um das Beseitigen der riesigen Trümmerfelder, den Gewinn von Baumaterialien, das Zwischenbegrünen enttrümmerter Flächen und das Gestalten ehemals begrünter Stadtplätze. Jeder, der sich an der freiwilligen Arbeit beteiligte, leistete Aufbaustunden, die mit Klebemarken in einer Aufbaukarte dokumentiert wurden. Zur Anerkennung der Arbeit wurden Aufbaunadeln gestiftet: für 50 Halbschichten in Bronze, 100 Halbschichten in Silber oder 150 Halbschichten in Gold. Eine Halbschicht dauerte drei Stunden, sodass sich auch Werktätige am NAW beteiligen konnten.

Zahlreiche Projekte wurden initiiert, so etwa der Bau von Schwimmbädern, von Spiel- und Sportplätzen, Parkanlagen oder Kulturhäusern.

Das Heidetheater (Freilichtbühne in der Schönholzer Heide): Auftritt einer Volkstanzgruppe auf der Freilichtbühne, 1959. Das Heidetheater hatte Platz für 2.500 Besucher und war mit einer Fläche von 600 Quadratmetern die größte Berliner Tanzbühne im Freien. Da die Freilichtbühne in unmittelbarer Nähe der Grenze lag, stellte man 1962 den Betrieb ein. Quelle: Museum Pankow, Foto: Herbert Görzi
Anton-Saefkow-Park: Einweihung des Parks Gumbinner Grund, 18.09.1955. Etwa 40.000 Kubikmeter Trümmerschutt wurden auf eine Höhe von bis zu 15 Metern aufgeschüttet und anschließend begrünt. 1958 wurde der Park nach dem Widerstandskämpfer Anton Saefkow benannt. Quelle: Museum Pankow, Foto: Erich Zühlsdorf
Mieterinnen bei Pflegearbeiten in der Staudenrabatte des Hauses in der Ossietzkystraße 26 in Pankow um 1960. In: Deutsche Gartenarchitektur, Zeitschrift für Grünplanung und Landschaftgestaltung, Heft 4, 1961 Quelle: Sammlung Wolfgang Krause

2.2 „Mach Mit!“ beim Bäumepflanzen!

Der Ausbau und die Pflege von Grünanlagen waren zwar offiziell erwünscht, konnten aber wegen der Mangelwirtschaft häufig nicht geleistet werden. So wurden auch die Bürger zur Mitarbeit bei der Gestaltung ihrer „sozialistischen Heimat“ aufgefordert.

Die als Subbotniks bezeichneten Arbeitseinsätze fanden meist am Samstag- oder Sonntagvormittag statt, sodass auch Schüler teilnehmen konnten. Sie waren Teil des sozialistischen Erziehungssystems und galten als gesellschaftlicher Auftrag.Mithilfe von Pflegeverträgen zwischen Gartenamt und Bürgern kompensierte man die notorisch fehlenden Arbeitskräfte und regte mit Erfolg die Eigeninitiative der Menschen an. Der Bezirk Prenzlauer Berg verfügte Mitte der 1980er Jahre über etwa 250 Hektar Grünfläche. Um allein 100 Hektar kümmerten sich 1.200 sogenannte Pflegepartner.

Begrünen von Trümmerschutt auf der Oderbruchkippe durch eine FDJ-Initiative, 1968. Junge Sportlerinnen und Sportler mit Pionierbluse und Halstuch und im FDJ-Hemd beim Arbeitseinsatz. An der Oderbruchkippe, auf dem ehemaligen Kleingartengelände an der Oderbruchstraße, wurde Mitte der 1950er Jahre mit der Aufschüttung begonnen. Gleichzeitig wurde die Fläche begrünt. Quelle: Museum Pankow, Foto: Erich Becker
Begrünen von Trümmerschutt auf der Oderbruchkippe durch eine FDJ-Initiative, 1968. Junge Sportlerinnen und Sportler mit Pionierbluse und Halstuch und im FDJ-Hemd beim Arbeitseinsatz. An der Oderbruchkippe, auf dem ehemaligen Kleingartengelände an der Oderbruchstraße, wurde Mitte der 1950er Jahre mit der Aufschüttung begonnen. Gleichzeitig wurde die Fläche begrünt. Quelle: Museum Pankow, Foto: Erich Becker

Baum-Pflanz-Aktionen in der Volkswirtschaftlichen Masseninitiative

Die zunehmende Luftverschmutzung, das Streuen von Salz im Winter und vor allem die defekten Gasleitungen gefährdeten seit Anfang der 1980er Jahre die Baumbestände ganzer Straßenzüge. Bäume in der Hufelandstraße, Kastanienallee, Schönhauser Allee und in einigen Abschnitten der Dimitroffstraße (heute Danziger Straße) starben und mussten gefällt werden. Die Bezirksverwaltung vom Prenzlauer Berg war deshalb mehr denn je auf die aktive Mitarbeit ihrer Bürger angewiesen. So wurden von den in der ersten Jahreshälfte 1985 gepflanzten 4.118 Bäumen (unter anderem in der Winsstraße, Mühlhauser Straße, Greifenhagener Straße, Kuglerstraße, Cantianstraße) 2.650 im Rahmen der volkswirtschaftlichen Masseninitiative gepflanzt. Zwischen 1983 und 1986 kamen noch einmal insgesamt etwa 14.000 neue Straßenbäume hinzu. Da die Bewässerung nicht allein von den Mitarbeitern des VEB (K) Stadtwirtschaft bewältigt werden konnte, wurden Pflegeverträge zwischen Gartenamt und Bürgern abgeschlossen. Die „Pflegeeltern“ erhielten 15 Mark pro Jungbaum und Jahr.

Bei den Baumpflanzaktionen wurden auch Straßen begrünt, die zuvor keine Baumbepflanzung hatten: u. a. die Belforter Straße, Kanzowstraße, Husemannstraße, Erich-Weinert-Straße, Dunckerstraße und Raumerstraße.

Bauschutz ist Selbstschutz
Junges Grün braucht besondere Fürsorge. Baumschutz ist Selbstschutz, 1984. Wer einen Pflegevertrag abschloss, erhielt Pflanzen und Geräte und wurde geringfügig entlohnt. Man bekam 25 Prozent des Geldes, das dem VEB Stadtgrün vom Gartenamt gezahlt wurde. Für den VEB Stadtgrün blieben 20 Prozent Gewinn. Plakat von Hajo Schüler Quelle: Sammlung Wolfgang Krause
Pflegevertragspartnerball in Prenzlauer Berg
Von 1975 bis 1989 fand jährlich ein Pflegevertragspartnerball in Prenzlauer Berg statt, wo die fleißigen Grünhelfer ausgezeichnet wurden, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause, Foto: Kurt Böttger, 1985
Goldene Hausnummer Urkunde 1988
Beim Kampf um die goldene Hausnummer war die Grünanlagenpflege ein wichtiges Kriterium, Urkunde 1988, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause

Die „Ein-Mann-Bürgerbewegung“ – Manfred Butzmann. Diether Schmidt, Kunsthistoriker (1930–2012)

Der Künstler Manfred Butzmann (*1942) wohnte von 1966 bis 2007 in der Pankower Parkstraße. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre setzte er sich in seinen Arbeiten für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur ein. Ihn störte die Unachtsamkeit vieler Bürger und der Behörden gegenüber dem Berliner Stadtgrün.

„Als Grafiker hat er hohen künstlerischen Anspruch an sich selbst, aber er ist gleichzeitig ein seltenes Exemplar von politisch engagiertem Bürger, der nicht vor der Obrigkeit kuscht.“

Jens Reich (*1939) Mitbegründer der Bürgerbewegung „Neues Forum“

Ein Platz für Bäume, 1978. Für das Plakat nutzte Manfred Butzmann Fotos von leeren Baumscheiben auf einem Bürgersteig in Pankow. Doch der Künstler beließ es nicht dabei, auf die durch Abgase und Vernachlässigung entstandenen Mängel zu verweisen, sondern zeigte neue Wege, die jeder gehen kann: Er pflanzte Efeu an Laternenpfählen und dokumentierte diese Aktion auf einem Plakat mit der Aufschrift „Zum Beispiel“ (1985). Plakat von Manfred Butzmann. Quelle: Museum Pankow

Bäume pflanzen als Protest. Die unabhängige Umweltbewegung in der DDR

Mit Baumpflanzungen machten seit Beginn der 1980er Jahre unabhängige Umweltgruppen auf die Umweltprobleme in der DDR aufmerksam. Die erste Aktion fand 1979 in Schwerin statt. Kritik an der Umweltverschmutzung in der DDR war ein Tabuthema. Eine kritische, unzensierte Diskussion über Umweltfragen war nur unter dem Dach der evangelischen Kirche möglich. Die ersten unabhängigen Umweltgruppen entwickelten sich aus kirchlichen Jugendkreisen, in denen sich Christen und Nicht-Christen engagierten. 1983 befestigten Umweltschützer in vier Ostberliner Stadtbezirken Holzkreuze mit Protestlosungen an toten Straßenbäumen.

Die SED versuchte mit der 1980 gegründeten „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ (GNU), die dem Kulturbund der DDR angegliedert war, die Umweltbewegung in staatliche Bahnen zu lenken.

Öffentlichkeitswirksame Aktionen der Umweltgruppen waren Fahrraddemonstrationen. Bei der „Friedensfahrt ohne Sieger“ im Mai 1983 versuchten Polizei und Staatssicherheit einzugreifen, konnten aber nur wenig ausrichten. Die zweite Friedensfahrt 1984 wurde durch die Staatssicherheit aufgelöst.

Fahrraddemo gegen Luftverschmutzung am 4. Juli 1982 Die Fahrradfahrer wollten auf die zunehmende Umweltzerstörung in den Städten der DDR aufmerksam machen und banden sich auf der Straße Unter den Linden Tücher vor Mund und Nase. Die Route begann im Prenzlauer Berg und führte über die Invaliden-, Chaussee- und Friedrichstraße, Unter den Linden und Karl-Marx-Allee in den Friedrichshain. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Foto: Tom Sello

Umwelt-Bibliothek

Im September 1986 gründeten Ostberliner Oppositionelle, darunter Carlo Jordan, Oliver Kämper, Wolfgang Rüddenklau und Christian Halbrock, die Umwelt-Bibliothek im Keller des Gemeindehauses der Zionskirche in Berlin-Mitte. Die hier mit minimaler technischer Ausrüstung produzierte Samisdat-Zeitschrift „Umweltblätter“ machte die Umweltprobleme in der DDR öffentlich. Außerdem gab es Kontakte zur Westberliner „Kontraste“-Redaktion, die Beiträge zur ostdeutschen Ökologiebewegung sendete und damit ein bei Weitem größeres Publikum erreichen konnte.

Die Umwelt-Bibliothek entwickelte sich zu einem wichtigen Forum der DDR-Opposition, wo neben Umweltfragen aktuelle Themen wie Menschenrechte oder Reisefreiheit diskutiert wurden.

Uta Ihlow schreibt die Matrizen für den Druck der Umweltblätter, Mai 1988. Quelle: Robert- Havemann-Gesellschaft, Foto: Wolfgang Rüddenklau
Der Mitinitiator und Herausgeber der Umweltblätter Wolfgang Rüddenklau beim Sortieren und Heften einer neuen Ausgabe der Umweltblätter, Mai 1988 Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft. Foto: Ann-Christine Jansson / www.jansson-photography.com

2.3 Mach Mit: „Wir machen den Höfen den Hof“!

Im Ausstellungszentrum am Fernsehturm fand im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturaustausches im September 1982 die bundesdeutsche Ausstellung „Stadt Park – Park Stadt“ statt. Sie ging der Frage nach, wie das Leben in der Großstadt durch Grünflächen menschenfreundlich gestaltet werden kann. So wurden Projekte des Münchner Architekten Hermann Grub vorgestellt, die dieser mit wenig Geld und der Unterstützung von Bürgern umgesetzt hatte. Die Ausstellung bewirkte, dass die Begrünung von Höfen ein öffentliches Thema in der DDR wurde. Innerhalb weniger Jahre sollten nun Tausende Höfe in Ostberlin neu gestaltet werden. Motto der von den Gartenämtern betreuten Aktion war: „Wir machen den Höfen den Hof“. Den Bewohnern wurden Materialien wie Mutterboden, Sträucher, Rosen, Bäume, Stauden, Schalen, Fässer und Gehwegplatten zur Verfügung gestellt. Mit fachlicher Beratung durch die Pflegebetriebe begrünten und pflegten sie ihre Höfe und Vorgärten nun selbst. Von den etwa 3.000 Hinterhöfen im Prenzlauer Berg wurden innerhalb von drei Jahren mehr als 2.600 umgestaltet und begrünt, teilweise mit sehr einfachen Mitteln.

Der Hirschhof in der Oderberger Straße

Ein für DDR-Verhältnisse ungewöhnliches Hofprojekt war Anfang der 1980er Jahre die Anlage des Hirschhofes. Eine Gemeinschaft von Anwohnern machte sich für die Umgestaltung mehrerer unsanierter Hinterhöfe zu einem Spielplatz stark. Von Georg Götz, einem Puppenspieler, stammte 1980 die Idee, die sehr bald viele mittrugen. Es entstand eine Bürgerinitiative und durch das glückliche Zusammenspiel klug agierender Bürger und der Behörden nahm das Projekt allmählich Formen an. So entstand zwischen 1982 und 1985 im Rahmen der Aktion „Wir machen den Höfen den Hof“ eine grüne Oase zum Spielen, mit einem Amphitheater und einem aus Stahlschrott zusammengebauten Hirsch. Die Mitglieder der Bürgerinitiative schlossen mit dem Gartenamt Pflegeverträge ab und der Rat des Stadtbezirkes steuerte rund 350.000 Mark bei.

Die Gratwanderung zwischen Protest und Kooperation glückte hier auf eindrucksvolle Weise. Der Hirschhof entwickelte sich zu einem besonderen Treffpunkt, an dem von Anwohnern organisierte Konzerte und Feste stattfanden. Der Hof war auch ein Ort der Ostberliner Underground-Szene, zu der viele DDR-Oppositionelle gehörten. Nach langer gerichtlicher Auseinandersetzung wurde der Hirschhof den neuen Hauseigentümern zugesprochen. Es entstand auf dem Nachbargrundstück der Hirschhof Nr. 2 für die öffentliche Nutzung.

Der Hirschhof 1986
Der Hirschhof, Quelle: Kultur im Hain 1986, Fotos: Sabine Herold-Kraemer, Uwe Dähn
Zustand vor der Anlage des Hirschhofes (Ballspielplatz), 1981. Quelle: Eva Butzmann
Neu gestalteter Spielplatz auf dem Hirschhof ca. 1988. Auf dem Spielplatz wurden Bauelemente vom Berliner Dom und Berliner Schloss integriert, die auf dem Lagergelände der Denkmalpflege in Ahrensfelde gelagert waren. Quelle: Wolfgang Krause
Urkunde für die Gestaltung des Hirschhofes 1990
Auszeichnung für die Gestaltung des Hirschhofes 1990, Quelle: Sammlung Straßen- und Grünflächenamt Pankow
Blick von der Kastanienallee in einen der Hinterhöfe, die zum Hirschhof führen, 1997. Quelle: Wolfgang Krause
Eingang zum Hirschhof von der Oderberger Straße aus, 1997. „Umsonst und draußen“: Über der Durchfahrt hängt ein Banner mit der Einladung zum Sommerfest auf dem Hirschhof. Quelle: Wolfgang Krause

„Das Warten auf die Kommunale Wohnungsverwaltung, die irgendwann schon mal was machen wird, weicht immer häufiger eigener Mieterinitiative.“

Klaus Lemmnitz in der Neuen Berliner Illustrierten (NBI), Nr. 22/1986. Klaus Lemmnitz war Vorsitzender der VMI-Kommission des WBA (Wohnbezirksausschuss) 92.

2.4 Die Aktion „Mauer Land Lupine“ am 21. März 1990

Durch den Abriss der Mauer entstanden auf dem ehemaligen Grenzstreifen Freiflächen, über deren weitere Nutzung kontrovers diskutiert wurde. Drei Berliner Künstler, Anna Franziska Schwarzbach, Peter Schwarzbach und Manfred Butzmann, und die Grüne Liga initiierten die Aktion „Mauer Land Lupine“. Am 21. März wurden zehn Tonnen Lupinensamen von DDR-Grenzsoldaten und Mitgliedern der Initiative auf dem innerstädtischen Grenzstreifen ausgesät, um die Anlage einer grünen Landschaft auf dem ehemaligen Mauerstreifen anzuregen.

Kultivierung des Mauerstreifens 1990
Die ersten Anfänge bei der Kultivierung des Mauerstreifens, Blick von Schwedter Straße zur Eberswalder Straße 1990, Foto: Gerd Danigel

3. Warum gärtnern die denn alle? Bürgerarbeit für ein grünes Pankow heute und morgen

„Ich wünsche mir einen Garten“ Bepflanzter Tetrapak an einem Bauzaun in Berlin. „Ich wünsche mir einen Garten“ ist eine Aktion der Grünen Liga e. V., die Tipps fürs Gärtnern auf öffentlichen Flächen, Baumscheiben, Hinterhöfen, in Firmengärten oder in Bau­lücken gibt, die im Rahmen des Projektes ,,Der Garten von nebenan – gemeinsam grüne Oasen schaffen“ all jene unterstützt, die Lust aufs Gärtnern haben. Bei praxisorientierten Seminaren und Beratungen geben Experten Antworten auf Fragen: Welche Flächen sind als urbane Gärten geeignet? Wie können die nachhaltig nutzbar gemacht werden? Die Grüne Liga gründete sich 1990 als ein Netzwerk ökologischer Bewegungen in der DDR. Viele ihrer Mitglieder engagierten sich bereits in den 1980er Jahren unter dem Dach der Kirche, in der Gesellschaft für Natur und Umwelt oder in selbständigen Gruppen für den Umweltschutz. Quelle: Grüne Liga Berlin e. V., 07.05.2014

„Seit 2007 leben erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Vom Land leben sie trotzdem noch. Erscheint es da nicht folgerichtig, dass die Landwirtschaft nun auch in die Städte zurückkehrt?“

Christa Müller, Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt, 2011

Viele Pankower sind bereit, sich für ihr Grün einzusetzen. Angesichts vieler verwahrloster Flächen belassen es die Bewohner aber nicht beim passiven Protest. Ihr Engagement reicht vom Säubern eines ungepflegten Platzes bis hin zur Sorge um die Bäume in ihrer Straße. Viele Initiativen setzten bereits im Verbund mit Quartiersmanagement und Bezirk ihre Ziele um. Die Vielfalt der Aktionen ist groß und ein Zeichen für den Stellenwert der Natur für den Menschen.

Auch die Zahl der in Eigeninitiative betriebenen Projekte des neuen urbanen Gärtnerns und der urbanen Landwirtschaft wächst stetig. Bepflanzte Baumscheiben und temporäre Gemüsebeete auf Stadtbrachen, Interkulturelle Gärten und Äcker am Stadtrand zur Selbstversorgung der Städter haben Konjunktur.
Mögen manche Urban Gardening als Groß-Stadt-Spleen abtun, die Idee hat sich längst etabliert. Diese junge und bunte Bewegung erprobt neue Lebensmodelle. Ihr Ziel ist eine nachhaltige Lebensweise. Die körperliche Arbeit im Grünen, das Lernen und das Miteinander sind wichtig.

Naturwissenschaftler und Soziologen sehen hier Wege, um die sozialen und ökologischen Probleme zu lösen, die durch wachsende oder schrumpfende Städte entstehen. Die Wissenschaft setzt auf urbanes Grün, um den ökologischen Fußabdruck von Städten zu verkleinern und die künftige Ernährung der Einwohner zu sichern. Die eigentlichen Adressaten des Urban Gardening sind die Stadtplaner und Stadtverwalter.

3.1 Was ist Urban Gardening?

Die Wurzeln des Urban Gardening liegen im New York der 1970er Jahre: Guerilla-Gärtner warfen Saat-Bomben, Kugeln aus Erde und Samen, auf die wenigen Grünflächen. Diese Form des Protestes fand auf dem europäischen Kontinent zuerst in London seine stärkste Verbreitung. Der Brite Richard Reynolds (*1977) ist Europas bekanntester Guerilla-Gärtner. Er begann 2004 damit, seine Londoner Wohngegend durch Pflanzen zu verschönern. Sein Buch „Guerilla Gardening“ war ein Startschuss für den Boom der eigenmächtigen Innenstadt-Begrünung.

Bekannt wurde Guerilla-Gardening auch, als sich am 1. Mai 2000 Globalisierungsgegner und Umweltaktivisten mit Gartengeräten, Erde und Setzlingen auf einer Rasenfläche im Londoner Stadtzentrum trafen, um die Straßen zurückzuerobern. Dieses Protest-Gärtnern fand auch Anhänger in Deutschland – sei es aus politischen oder ökologischen Gründen, mit künstlerischem Anspruch oder einfach aus dem Wunsch, einen verwahrlosten Ort zu verschönern. Es ist eine neue städtische Mit-mach-Kultur entstanden. Ein über Berlin hinaus bekanntes Projekt ist der Prinzessinnengarten am Moritzplatz in Kreuzberg.

Bepflanzte Baumscheibe im Prenzlauer Berg 16.9.2014
Bepflanzte Baumscheibe im Prenzlauer Berg 16.9.2014, Quelle: Grüne Liga Berlin e. V.

Freiobst und Mundraub

Die Aktion Freiobst Pankow wurde von Bündnis 90/Die Grünen ins Leben gerufen. Ziel ist, neue Obstbäume auf frei zugänglichen Flächen zu pflanzen und für die Baumpflege zu sorgen. Als Partner konnten die Pankower Grünen die Initiative Mundraub, die Grüne Liga und die Genossenschaft „BürgerEnergieBerlin“ gewinnen. Die Akteure von Freiobst sammeln Spenden, kaufen davon Obstbäume und pflanzen diese in Absprache mit dem Bezirksamt an dafür geeigneten Stellen. Wer für einen Baum spendet, wird Baumpate. Pflanzaktionen von Freiobst Pankow fanden erstmals 2012 statt. Seitdem wurden Obstbäume an den Karpfenteichen am Panke-Radweg, am Blankenburger Pflasterweg und am Schmöckenpfuhlgraben in Heinersdorf gepflanzt. Weitere Pflanzungen sind in Planung.

Auf der interaktiven Karte www.mundraub.org/map sind öffentliche Straßen-Obstbäume in Berlin, Deutschland und Europa verzeichnet. Die Internetplattform Mundraub bietet in Berlin auch Fahrradtouren an und zeigt, wo man welche Früchte ernten kann.

Metamorphose. Der Kunst- und Lerngarten auf dem ehemaligen Friedhof Georgen-Parochial 1

Friedhof in der Heinrich-Roller-Straße
Früherer Zustand des Friedhofs: verwahrloste Gräber. Die Grüne Liga berlin hat 2013 den nördlichen Teil des Friedhofes in der Heinrich-Roller-Straße für fünf Jahre von der evangelischen Kirche gepachtet. Auf dem 40 x 50 Meter großen Areal entstand ein Grüner Lernort mit Projekten zur Umweltbildung und Naturerfahrung, wobei die Pietät für den Ort gewahrt bleibt. Kinder und Erwachsene können hier gärtnern, gemeinsamen lernen und sich erholen. Quelle: Grüne Liga Berlin e. V.
Maggot von Anne Duk Hee Jordan 2008/2014
Maggot von Anne Duk Hee Jordan 2008/2014, Quelle: Grüne Liga Berlin e. V. und Entretempo Kitchen, Gallery Art Garden
Ad Incamate As Advocate von Nate Anspaugh Papierskulpturen 13.9.2014
Ad Incamate As Advocate von Nate Anspaugh, Papierskulpturen, 13.9.2014, Quelle: Grüne Liga Berlin e. V. und Entretempo Kitchen, Gallery Art Garden, Foto: Celina Gonzales Sueyro

Gärten für alle! Gemeinschaftsgärten und Interkulturelle Gärten

Der erste Interkulturelle Garten in Deutschland entstand 1996 in Göttingen auf Initiative von Migranten, Flüchtlingen und deutschen Familien. Bundesweit gibt es derzeit etwa 200 Interkulturelle Gärten, in Berlin 42 (Stand 2015 laut Stiftung Interkultur), in Pankow u. a. den „Bunten Garten“ in Buchholz und den „mauergarten“ im Mauerpark. Interkulturelle Gärten sind Gemeinschaftsgärten. Vorbild für die Gemeinschaftsgärten in Europa waren die in den 1970er Jahren entstandenen Community Gardens in New York.

Die gemeinschaftliche Nutzung der Gärten unterscheidet diese von den Kleingärten. Sie sind öffentlich zugänglich und werden von privaten Gruppen gestaltet und gepflegt. Gemeinschaftsgärten sind multifunktionale öffentliche Freiräume, die, wenn auch nicht immer vorrangig, für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden.