Kleingärten

Wassertropfen-Spiegelbild: Gartenhaus im Regentropfen am Blumenzweig. Foto: Hartmut Göbel

Das private Paradies

In schöner Regelmäßigkeit wird in der Presse von unerschrockenen Kleingärtnern berichtet, die mit Zähnen und Klauen ihre Gärten gegen den Bau von Wohnungen, Straßen und Gewerbegebieten verteidigen. Gleichzeitig sind die abgesperrten Kleingartenanlagen für viele Berlinerinnen und Berliner unbekanntes Land (Terra Incognita). Der Bezirk Pankow beherbergt eine große Zahl von Kleingärten unterschiedlichster Couleur.

Urbanen Menschen zu gestehen: „Ich bin Kleingärtner“, ist einem Coming-out gleichzusetzen. Noch immer herrscht das Klischee, dass Kleingärtner bornierte Spießer sind, die sich von ihren Gartenzwergen kaum unterscheiden lassen. Doch leise und zaghaft macht sich eine Renaissance der Kleingärten bemerkbar. Junge, urbane Familien sehen für sich und ihre Kinder im Kleingarten eine günstige und räumlich nahe Möglichkeit, Natur zu erleben und ihrem Berufsleben ein Gegengewicht zu geben. Nicht nur biologisch einzukaufen, sondern sein Gemüse und Obst direkt selbst anzubauen, ist zu einem erstrebenswerten Gut geworden.

Der Entstehung der Kleingärten lag genau dieses Bedürfnis zugrunde: nach Luft, Licht und unmittelbare Naturerfahrung, wie sie auch heutzutage für Großstädter wichtig sind. Doch standen diese Ziele damals unter dem Vorzeichen der Not. Die Arbeit an der frischen Luft im Tageslicht sollte die Folgen lindern, die das Leben in dunklen beengten Stadtwohnungen mit sich brachte, und die Arbeiter außerdem in die Lage versetzen, sich mit Obst und Gemüse zu versorgen.

Kleingärten tun nicht nur den Kleingärtnern gut, sondern auch den übrigen Stadtbewohnern. Der Staub in der Luft wird reduziert und die Luft gekühlt. Allen Vorbehalten zum Trotz: Kleingärten sind ein zukunftsfähiges Element einer lebenswerten Stadt!

1. Der Kleingärtner – Das unbekannte Wesen

Noch immer ist ein mildes, mitleidiges Lächeln die Antwort auf das Bekenntnis „Ich bin Kleingärtner“. Die vermeintlich schlichten Gemüter in ihrem „Rentnerparadies“ werden als „Laubenpieper“ betrachtet, denen die Suche nach Ordnung im typischen deutschen Verein, die deutsche Fahne und der akkurat gepflegte Rasen über alles gehen.

Vladimir Kaminer beschreibt in seinem Buch „Mein Leben im Schrebergarten“ die Atmosphäre in einer typischen Kleingartenanlage. Der Autor spielt mit überkommenen Klischees und führt mit augenzwinkerndem Humor in die Welt der Kleingärten ein.

Stolze Kleingärtner 50 Jahre auf einer Parzelle in Rosenthal
Stolze Kleingärtner, 50 Jahre auf einer Parzelle in Rosenthal, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause

Was ist ein Kleingarten? ,,Ein Kleingarten ist ein Garten, der dem Nutzer (Kleingärtner) zur nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung dient …“

Bundeskleingartengesetz (BKleingG) vom 28. Februar 1983, zuletzt am 19. September 2006 geändert, Erster Abschnitt, Allgemeine Vorschriften, § 1 Begriffsbestimmungen

2. Der Bezirk Pankow – Das Paradies der Kleingärtner

Der Großbezirk Pankow mit seinen Ortsteilen Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow ist der Bezirk mit den meisten Kleingärten in Berlin. Die Geschichte von Pankows Kleingartenanlagen ist exemplarisch für die historische Entwicklung dieser Gärten, die vor über einhundert Jahren begann und bis in die Gegenwart reicht. Außerdem spiegelt sie die unterschiedlichsten Traditionen und Entstehungsgründe von Kleingartenanlagen wider. So wurden Anfang des 20. Jahrhunderts vom „Verband deutscher Arbeitergärten vom Roten Kreuz“ in Berlin mehrere Kleingartenanlagen geschaffen und betreut. Ziel war es, die Lage der ärmeren und hilfsbedürftigen Berliner durch Hilfe zur Selbsthilfe zu verbessern. Dagegen verpachteten sogenannte Generalpächter privaten Grund unter weniger sozialen Gesichtspunkten als Kleingartenparzellen. In diesen Kleingartenanlagen waren die Mieter vom Generalpächter abhängig, hatten oft nur einjährige Mietverträge und mussten die Waren und Getränke bei dem Generalpächter kaufen. Aus Protest gegen die Rechtlosigkeit der Kleingärtner entstand die Bewegung der „Laubenkolonisten“, die unabhängige Kleingartenanlagen in Berlin etablieren wollten. Um die Jahrhundertwende gründeten sich mehrere selbstverwaltete Kleingartenanlagen wie beispielsweise der „Pflanzerverein Transvaal“ (1896). Neugründungen gab es auch in der jüngeren Geschichte Pankows. So entstanden ab Mitte der 1970er Jahre Anlagen wie „Rosenthal Süd“ und „Rosenthal Nord“ mit insgesamt 405 Parzellen.

Gründungsfahne Ackerpächter Verein
Gründungsfahne, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause
Kleingartenanlage "Neu Berlin" bei der Gründung 1901
Kleingartenanlage „Neu Berlin" bei der Gründung 1901, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause
Fahne der Kleingärtner 2001
Fahne der Kleingärtner 2001, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause
Kleingärtner der Kleingartenanlage „Neu Berlin" 2001
Kleingärtner der Kleingartenanlage „Neu Berlin" 2001, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause

3. Grüne Funktionen von Kleingärten

Kleingartenanlagen spielen eine große Rolle für das Stadtklima. Sie sorgen für Kühlung, die durch Schneisen in die Stadt gelangt, und helfen dabei, Staub aus der Luft zu filtern. Für städtebauliche Planungen sind Kleingartenanlagen deshalb sowohl für die stadtökologische Gesamtbewertung als auch als Frischluftschneisen bedeutende Faktoren.

In Kleingärten werden selten gewordene Obst- und Gemüsesorten angebaut. Auf diese Weise sichern sie die Artenvielfalt der Pflanzen und dienen als Lebensraum für Vögel, Insekten und Kleinsäuger. Außerdem sind Kleingärten für die Finanzen der Stadt ein Segen, da die Anlagen als Grünflächen nicht von der Stadt erhalten, gepflegt und finanziert werden müssen, sondern von den Pächtern.

Hummel auf einer Blüte im Kleingarten, 2014. Foto: Hartmut Göbel
Frühlings-Blumenbeete im Kleingarten. Foto: Hartmut Göbel
Artenvielfalt in den Kleingartenanlagen
Artenvielfalt in den Kleingartenanlagen, Foto: J. S. Pronsfeld

4. Kleingärten – Orte des sozialen Miteinanders

Die Kleingartenanlage als Ort sozialen Miteinanders – dieser Aspekt des Kleingartenwesens wird gemeinhin unterschätzt. Die Lust am Gärtnern in der Nachbarschaft anderer stiftet Gemeinschaft und lindert die Folgen großstädtischer Verein­samung. Gerade ältere Menschen können auf diese Weise der Einsamkeit ihrer Stadtwohnung entfliehen. Sie verbringen häufig so viel Zeit wie möglich in ihren Gärten, plauschen dort mit den Nachbarn und unterstützen sich gegenseitig. Durch den Zuzug junger Familien kommen zudem unterschiedliche Generationen miteinander in Kontakt. Natürlich hat das Ganze auch seine Schattenseiten: Überall wo Menschen enger zusammenleben, gibt es Zwist und Hader! Doch da sind Kleingärtner nicht allein.

Wer hätte das gedacht? 7,5 Prozent der Kleingärtner haben einen Migrationshintergrund. Kleingärten sind beliebt bei Spätaussiedlern, Osteuropäern und Türken und leisten damit ihren Anteil an der Integration.

Von Überalterung und Leerstand vieler Kleingartenanlagen sind vor allem die ostdeutschen Bundesländer betroffen. Dort stehen fünf bis zehn Prozent der Kleingärten leer. Dieses Problem haben die meisten Kleingartenanlagen in Pankow nicht. Knapp die Hälfte der neuen Kleingärtner sind Familien mit Kindern.

Festumzug beim Erntefest in der Laubenkolonie in Pankow, 1906
Festumzug beim Erntefest in der Laubenkolonie in Pankow, 1906, Neben dem Gärtnern wurden zwischenmenschliche Beziehungen gepflegt. Kleingärtner trafen sich zum geselligen Beisammensein und halfen sich gegenseitig mit Tipps und Materialien. Auch das Erntedankfest feierte man zusammen. Quelle: bpk/Kunstbibliothek, SMB, Fotothek Willy Römer. Foto: Willy Römer, 1906

5. Die Ursprünge der Kleingärten

Das Kleingartenwesen in Deutschland hat unterschiedliche Wurzeln: Mal entstanden die Gärten auf Anordnung des Staates oder privater „Investoren“, mal verdankten sie sich freien Initiativen wie den Laubenkolonisten, einer historischen Grassroot-Bewegung.

5.1 Die Armengärten

Am 26. April 1814 unterschrieb Pastor Christian Friedrich Heinrich Schröder (1744–1818) einen Pachtvertrag für 24 Gärten auf der Pastoratskoppel „Scheunefeld“ im damaligen Hafen- und Fischerstädtchen Kappeln an der Schlei in Schleswig-Holstein. Nach der Festlegung einer Gartenordnung und des Pachtpreises wurde ein Vorstand gewählt – der erste deutsche Kleingärtnerverein war gegründet!

Eigeninitiative fördern statt Almosen verteilen, war der Gedanke hinter den Armengärten. Die Armen sollten in die Lage versetzt werden, sich selbst zu ernähren und für ihre Gesundheit zu sorgen. Unter der Regentschaft des Landgrafen Carl von Hessen (1744–1836) entstanden deshalb zwischen 1820 und 1830 mehr als 20 Armengärten. Diesem Beispiel folgten auch andere deutsche Städte. Viele dieser Armengärten bestanden zunächst nur für kurze Zeit. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dauerhafte Kleingartenanlagen gegründet, wie zum Beispiel die Laubenkolonien des Roten Kreuzes in Berlin.

Parzelle in den "Pastor-Schröder-Gärten"
Ansicht der heutigen „Pastor-Schröder-Gärten“ in Kappeln an der Schlei, 2015. Foto: Bernt Roder
Gartenhaus in Kleingartenanlage
Ansicht der heutigen „Pastor-Schröder-Gärten“ in Kappeln an der Schlei, 2015. Foto: Bernt Roder

5.2 Die Entstehung der Schrebergärten in Leipzig

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861) die Idee, öffentliche Spielplätze für Kinder einzurichten. Es ging ihm darum, den negativen Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung entgegenzuwirken. Der Schuldirektor Ernst Innocenz Hauschild (1808–1866) verwirklichte diese Idee: 1865 wurde auf städtischem Pachtland ein erster Spielplatz eingeweiht. Karl Gesell, ein pensionierter Oberlehrer (1800–1879), legte am Rande der Spielplätze Kinderbeete an, die sich zu Familienbeeten entwickelten und später zu Gärten wurden. Der erste Schreberverein wurde 1864 gegründet. Mit einem Gedicht versucht Gesell die Bedeutung gärtnerischer Betätigung und des Lebens in der Natur zu verdeutlichen.

5.3 Die Ursachen – Industrialisierung und Verstädterung

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte die Industrialisierung Berlin. Mit dem Zuzug von Arbeitern wuchs die Berliner Bevölkerung explosionsartig von 825.000 Einwohnern im Jahre 1871 auf fast zwei Millionen um die Jahrhundertwende. Im Jahre 1933 lebten schließlich weit über vier Millionen Menschen in der Stadt. Die damit einhergehende Bebauung weiter Flächen mit Mietskasernen führte zusammen mit miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen zu einer Verelendung der Arbeiter und ihrer Familien. Der Mangel an Licht, Luft, Raum und Ernährung fügte den Menschen Schäden an Körper und Seele zu. Am stärksten betroffen waren die Kinder. Wie weit die Entfremdung von der Natur fortgeschritten war, belegen die Ergebnisse einer damaligen Umfrage.

Kleingärten sollten diese Defizite mindern. Gartenarbeit, Licht, gesunde Ernährung und Geselligkeit wurden als probate Mittel angesehen, dieser umfassenden Schädigung des Menschen zu begegnen.

Wohnhof in der Petristraße 13 um 1900
Wohnhof in der Petristraße 13 um 1900 in der Gründerzeit entstanden, manchmal bis zu sechs Höfe hintereinander, in die kaum ein Lichtstrahl fiel. Die Bewohner hungerten nach etwas Grün, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause
Hirschhof in der Kastanienallee 12
Kastanienallee 12, hier gibt es vier Höfe nacheinander, Foto: Dieter Schönberg 1992
Heinrich Zille 1925
Heinrich Zille 1925, Quelle: Sammlung Wolfgang Krause

5.4 Leben im Kleingarten Anfang des 19. Jahrhunderts – Idyll und Wirklichkeit

Ohne elektrischen Strom und fließendes Wasser waren die Kleingärten früherer Tage wahrlich keine Wohlfühloasen. Da Lebensmittel teuer waren und für viele Arbeiter unbezahlbar, wurden Kleingärten zu wichtigen Versorgungsquellen für Obst und Gemüse. An schönen Tagen boten sie Platz für Familienfeste, Kinder konnten in der Sonne spielen und sich frei bewegen. Mit viel Erfindungsreichtum wurde eingelagert, gekühlt und gekocht.

Kleingartenanlage Bötzow auf dem Gebiet des heutigen Anton-Saefkow-Parks, 1936 Quelle: Dr. Albrecht
Berliner Laubenpieper, 1929. Gemälde von Hans Baluschek. Quelle: bpk

6. Geschichte der Kleingartenanlagen in Pankow

Die einzelnen Kleingartenanlagen in Pankow unterscheiden sich in ihrer Entstehungsgeschichte und repräsentieren unterschiedliche Traditionen.

6.1 Die Arbeitergärten vom Roten Kreuz

Arbeitergärten des Roten Kreuzes entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts im damals noch eigenständigen Charlottenburg, in Berlin und später auch in anderen deutschen Städten. Eine treibende Kraft war der Geheime Regierungsrat Alwin Bielefeldt (1857–1942). Ihm gelang es, den Berliner Volksheilstättenverein des Roten Kreuzes und den Vaterländischen Frauenverein für die Errichtung von Kleingartenanlagen zu gewinnen. 1906 wurden die Gärten im „Verband deutscher Arbeitergärten vom Roten Kreuz“ unter der Leitung von Bielefeldt zusammengefasst.

Es war das zentrale Anliegen der Arbeitergärten, grassierenden Krankheiten wie der Tuberkulose zu begegnen. Gesundheitsfördernde Gartenarbeit in Licht und Luft sollte der Gesundheit und als Hilfe zur Selbsthilfe dienen. Kriterien für die Verpachtung waren neben objektiver Notlage, Invalidität durch Kriegsteilnahme, Kinderreichtum und chronischen Krankheiten eine kaisertreue Gesinnung und ein guter Leumund. Diese Praxis wurde von vielen Arbeitern als obrigkeitsstaatliche Bevormundung empfunden und deshalb misstrauisch beäugt.

Wiederaufgebaute Traditionslaube aus den 1920er Jahren in der Kleingartenanlage Heinersdorf, 2014
Wiederaufgebaute Traditionslaube aus den 1920er Jahren in der Kleingartenanlage Heinersdorf, 2014. Die Weißenseer Kleingärtner restaurierten das marode Gartenhäuschen originalgetreu im Stil der Gründerzeit. Um das Häuschen herum wurde für die Öffentlichkeit ein Mustergarten angelegt. Foto: Volker Schönert
Arbeitergärten, Kleingartenanlage zum Roten Kreuz in der Prenzlauer Chaussee, alte Postkarte
Die Arbeitergärten zum Roten Kreuz in der Prenzlauer Chaussee (heute Prenzlauer Promenade), o. D. Quelle: Sammlung Wolfgang Krause
Gruss vom Verein der Kleingärtner Berlin-Heinersdorf, Postkarte
Gruss vom Verein der Kleingärtner Berlin-Heinersdorf, o. D., Postkarte. Quelle: Sammlung Wolfgang Krause

6.2 Die Generalpacht

Von Bodeneigentümern eingesetzte Generalpächter verpachteten um die vorletzte Jahrhundertwende Kleingartenparzellen im Stadtgebiet und in der Umgebung von Berlin. Oft war die Verpachtung auf ein Jahr begrenzt. Der Generalpächter bestimmte die Höhe der Pacht, herrschte über die Preise, die Gartenordnung, die Unterverpachtung und die Konzession zum Ausschank von Bier. Die Kleinpächter waren dem Generalpächter ausgeliefert. Mit der „Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung“ vom 31. Juli 1919 wurde schließlich ein gesetzlicher Schutz für Schrebergärten geschaffen und die Generalpacht verboten.

Die 1910 gegründete Kleingartenkolonie KGA „Neues Heim“ ist aus der 1901 gegründeten Anlage „Neu Berlin“, einem Kleingartengelände unter Generalpacht, hervorgegangen. Heute ist diese Anlage als „Sichtgarten“ der Öffentlichkeit zugänglich und liegt nahe dem Volkspark Prenzlauer Berg.

6.3 Die Berliner Laubenkolonisten

Gegen Wohlfahrt, Stadt und Patronat, vor allem aber gegen die Generalpächter schlossen sich Kleingärtner in Vereinen zusammen. 1911 kam es zur Vereinigung sämtlicher Pflanzervereine in und um Berlin zum „Verband der Laubenkolonisten Berlins und Umgebung“. Erstmals im Jahre 1910 hatte die Stadt ein Areal in Blankenburg, das aus ehemaligen Rieselfeldern bestand, an die Laubenkolonisten dauerhaft verpachtet. Es wurde vom Verein in eigener Regie verwaltet. Sehr viel Aufmerksamkeit wurde dem Wohl der Kinder gewidmet, deren Betreuung man sich teilte. Im Bewusstsein der erkämpften Freiheit pflegte man ein Gemeinschaftsgefühl – bei der Arbeit wie beim Feiern.

„Eine Umfrage im Jahre 1912 hatte ergeben, dass 70 % der Berliner Volksschüler keine Vorstellung von einem Sonnenaufgang hatten, 54 % kannten keinen Sonnenuntergang, 76 % keinen Tau. 82 % hatten noch nie eine Lerche gehört, viele nie einen Frosch, eine Schnecke, eine Birke, ein Ährenfeld, ein Dorf, einen Berg, einen Fluss gesehen.“

Dietrich Mühlberg, Anfänge der Arbeiterfreizeit, Ausstellungskatalog Berlin/O. 1989

7. Die Kleingärten in den Notzeiten der Weltkriege

Während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges wurde die Obst- und Gemüseproduktion der Kleingärten dringend für die Versorgung der Bevölkerung benötigt. Vor allem Frauen waren die Trägerinnen dieser als kriegswichtig erachteten Tätigkeit. Daneben dienten die Kleingärten im Zweiten Weltkrieg als Zufluchtsorte für Berliner, deren Häuser und Wohnungen durch Luftangriffe zerstört worden waren.

Auch nach dem Krieg dienten die Kleingärten noch als Notunterkünfte. Ebenso wurden große Teile des zerstörten Berlin kleingärtnerisch genutzt. In den ersten Nachkriegsjahren waren die Kleingärten für die Versorgung der Bevölkerung überlebenswichtig.

Gartenlaube in der Kolonie „Preußen“ in Rosenthal,die durch eine englische Fliegerbombe am 10.09.1940 zerstört wurde. Quelle: Landesarchiv Berlin

7.1 Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit

Das zuvor demokratisch organisierte Kleingartenwesen wurde unter den Nationalsozialisten weitgehend gleichgeschaltet und „arisiert“. Politisch unliebsamen Kleingärtnern wurde die Parzelle gekündigt. Dennoch gab es vereinzelt Widerstand. In der Kleingartenanlage Heinersdorf wurden von couragierten Kleingärtnern Juden versteckt. Auch die Widerstandsgruppe um Gerda und Gerhard Sredzki fand hier ein Versteck. Den Mitgliedern der Gruppe gelang es, mit gefälschten Attesten aktive Widerstandskämpfer vom Kriegsdienst fernzuhalten. In der Laube von Hans Beyermann in der Heinersdorfer Kleingartenanlage „Friedrichshöhe“ erlebte die Gruppe im April 1945 den Einmarsch der sowjetischen Armee.

Der Fabrikarbeiter Wilhelm Blank (1899–1945) unterstützte die Unterbringung von untergetauchten Mitgliedern der verbotenen KPD. Blank wurde im April 1943 inhaftiert und starb 1945 im Konzentrationslager Mauthausen an den Folgen der Zwangsarbeit. Er wohnte seit 1933 in einer Laube der Kleingarten­kolonie „Friedenstal“ an der Kniprodestraße. In der Grünanlage in der Storkower Straße 53–55 erinnert heute eine Gedenktafel an ihn.

Wilhelm Blank mit seiner Familie vor der Laube in der Kleingartenkolonie „Friedenstal“, 1930er Jahre. Quelle: Museum Pankow/Hans Blank
Gerda Sredzki um 1930. Quelle: SLUB/Deutsche Fotothek. Foto: Abraham Pisarek

8. Kleingärten in der DDR – der VKSK

Die Kleingärtner und Siedler in der DDR waren im VKSK – dem Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter – organisiert. Der Verband wurde 1959 gegründet und hatte bis 1988 über eine Million Mitglieder. Obwohl das „kleinbürgerliche“ Relikt Kleingärtner nicht in das politische Weltbild der DDR-Regierung passte, wurden Kleingärten geduldet, da sie sich als unerlässliches ernährungswirtschaftliches Potenzial, vor allem in kritischen Versorgungszeiten, erwiesen. Der VKSK löste sich am 27. Oktober 1990 auf und schloss sich dem Bundesverband Deutscher Gartenfreunde an.

Knapp eine Million Kleingärtner sind heute in Deutschland unter dem Dach des Bundesverbands Deutscher Kleingärtner organisiert. Rund die Hälfte aller Kleingärten befinden sich in den ostdeutschen Bundesländern, einschließlich Berlin. Die Kleingärten wie auch andere kleine Grundstücke wurden oft auch als „Datsche“ bezeichnet. Sie spielten als Rückzugsgebiete in der „Nischengesellschaft“ (Günther Gauss) DDR eine bedeutsame Rolle. Sie gaben in all ihren Beschränkungen Raum für private Betätigung und zwischenmenschliche Begegnung ohne staatliche Bevormundung.

Die Kleingartenanlage Park Rosenthal Nord
Diese Kleingartenanlage im Norden von Pankow ist eine Gründung aus dem Jahr 1977. Sie ist als Kleingartenpark nur mit einem Außenzaun umgeben und damit als öffentlich begehbare Grünfläche angelegt. Eine Besonderheit dieser Anlage ist ein 500 m langer Naturlehrpfad.

„Ihre in liebevoller Freizeitarbeit über den eigenen Bedarf hinaus erzeugten Qualitätsprodukte, darunter bedeutende Mengen an Obst, Gemüse, Honig, Eiern, Kaninchen- und Geflügelfleisch, finden die Anerkennung der Bevölkerung und haben dem Verband zu wachsenden Ansehen verholfen.“

Erich Honecker, 1977. Grußadresse des ZK der SED, 4. Verbandstag, in: Garten und Kleintierzucht, Heft 9/1977, S. 3

9. Die Wiederentdeckung der Kleingärten?

Die Sehnsucht vieler Großstädter nach einem ursprünglichen Leben hinterlässt auch in den Kleingartenanlagen Spuren. 45 Prozent aller Neuverpachtungen gingen zwischen 2003 und 2008 allein an junge Familien. Deren häufig ökologische Ernährungs- und Lebensweise weckt den Wunsch, selbst zu gärtnern und Zeit im Freien zu verbringen. Ein Indiz für diesen Wandel sind die neuen, innovativen Kleingartenhäuser, die modern und flexibel gestaltet sind.

Etwa 7,5 Prozent von den rund vier Millionen organisierten Kleingärtnern in Deutschland sind Migranten (circa 300.000). Die meisten von ihnen sind Spätaussiedler aus Russland, gefolgt von deutschstämmigen Migranten aus Polen. Die türkischstämmigen Kleingärtner machen die drittgrößte Gruppe aus. Für die Kleingärten kündigt sich ein Generationenwechsel an. Ob Familien mit Kindern, Paare und Migranten in ausreichender Zahl als Kleingartenpächter gewonnen werden können, hängt auch von der Bereitschaft der alteingesessenen Kleingärtner ab, deren Bedürfnissen entgegenzukommen.

10. Gefährdungen der Kleingärten

Der Volksentscheid im Jahre 2014 über das Schicksal der Kleingartenanlage „Oyenhausen“ in Berlin-Tempelhof wirft ein Schlaglicht auf die Interessenkonflikte, die städtebauliche Planungen für Straßen, Wohnungen und Gewerbe mit sich bringen können. Gerade die innerstädtischen Kleingartenanlagen stehen zur Disposition, wenn es darum geht, in Zeiten knappen bezahlbaren Wohnraums, Wohnungen zu bauen.

Der 2014 verabschiedete Kleingartenentwicklungsplan sieht vor, dass rund 600 der insgesamt 900 Berliner Anlagen ein dauerhafter Schutz garantiert wird. Insgesamt rund 160 weitere Anlagen haben nur einen befristeten Schutz. Die Bestandsschutzgarantien vieler Kleingärten gehen einher mit der Forderung aus der Politik, dass die Anlagen verstärkt für die Öffentlichkeit geöffnet werden müssen. Die meisten Kleingartenanlagen in Pankow sind laut Kleingartenentwicklungsplan Berlin 2014 bis zum Jahr 2020 geschützt.

11. Wie wird man Kleingärtner? – Anleitung und Ermutigung

Mit etwas Geduld und Beharrungsvermögen findet jeder seinen Garten. Wem der Weg ins Brandenburgische zu weit ist und wer seinen Geldbeutel schonen will, der sollte sich umschauen. Spaziergänge durch die Kleingartenanlagen und Gespräche mit den Pächtern ergeben vielerlei Einsichten. Wer einen Kleingarten pachten möchte, wende sich einfach direkt an den im gewünschten Bezirk ansässigen Bezirksverband, um sich auf eine Warteliste setzen zu lassen.